Wie sieht die „letzte Meile“ aus?
Im Überblick:
- Die geopolitischen Risiken steigen wieder und könnten die weltweite Deflation behindern.
- Die US-Inflationszahlen für den Dezember enthielten nicht nur gute Nachrichten.
- Wir zählen darauf, dass fallende Gewinnmargen die Inflation im Euroraum trotz steigender Arbeitsstückkosten weiter sinken lässt.
Wohl und Wehe der Gesamtwirtschaft wird 2024 davon abhängen, ob sich die im letzten Jahr begonnene Deflation weiter rasch fortsetzt, sodass die Zentralbanken ihre Geldpolitik etwas lockern können. 2023 hatte der Inflationsrückgang vor allem externe Ursachen – die Normalisierung der Lieferketten und der Energiepreise – und unglücklicherweise kehrt gerade das Risiko einer Polykrise zurück, was die weltweite Deflation der Handelsgüterpreise behindern könnte. Die jüngsten Entwicklungen im Roten Meer geben Anlass zur Sorge, dass die Krise im Nahen Osten heftigere Auswirkungen auf die Teuerung haben könnte, als ein „gewöhnlicher“ Ölpreisschock, weil die Lieferketten bereits wieder zu bröckeln beginnen. Die dritte Wahl eines Kandidaten der Freiheitlichen Fortschrittspartei (DPP) zum Präsidenten von Taiwan in Folge zwingt uns, die Möglichkeit einer Wiederholung der Eskalation der Streitigkeiten zwischen China und den USA ins Auge zu fassen, die in einem Handelskrieg münden könnten.
Dennoch sehen wir durchaus auch Gründe für Zuversicht. Die Unterbrechung der Route durch das Rote Meer ist nicht mit dem allgemeinen Zusammenbruch der Lieferketten nach der Wiederöffnung der Volkswirtschaften nach der Pandemie zu vergleichen. Die Tatsache, dass der neu gewählte taiwanesische Präsident keine Mehrheit im Parlament hat und China zugleich nicht in der besten Position ist, es sich mit ausländischen Kunden zu verscherzen, könnte verhindern, dass die Spannungen zwischen Peking und Washington zu stark eskalieren.
Aber selbst wenn die exogenen Inflationstreiber im Zaum gehalten werden können, lassen die jüngsten Verbraucherpreisinflationszahlen aus den USA vermuten, dass die „letzte Meile“ der Disinflation steil und steinig sein wird. Die annualisierte 3-Monats-Kerninflation stockt seit September oberhalb von 3%. Noch ist ein Bernanke-Blanchard-Szenario, bei dem sich eine von den Lohnkosten getriebene Inflation bildet, während angebotsgetriebene Schocks nachlassen, nicht ausgeschlossen. Um den Euroraum machen wir uns weniger Sorgen, obgleich die kontinuierlich rückläufige Produktivität die Lohnstückkosten in die Höhe treibt. Wir gehen davon aus, dass das nachlassende Vertrauen in die Wirtschaft, die Margen der Unternehmen sinken lässt.
Rechtliche Hinweise