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Jahresausblick

Ausblick für die Emerging Markets: Vor der Dämmerung ist es am dunkelsten


Im Überblick

  • Wirtschaftliche Probleme im In- und Ausland werden für einen Konjunkturabschwung in den Emerging Markets sorgen. Chile und Zentraleuropa dürften in eine Rezession fallen. Eine Erholung dürfte in der zweiten Jahreshälfte 2023 erfolgen.
  • Für Frontiermärkte ist es erheblich schwerer geworden, sich im Ausland Liquidität zu beschaffen. Durch die hohe Inflation ist die Nahrungsmittelsicherheit gefährdet, und es besteht das Risiko sozialer Unruhen.
  • Die Türkei wandelt auf einem schmalen Grat und hofft, nicht noch vor den Wahlen in eine Währungskrise zu geraten.

Zahlreiche Faktoren bremsen das Wachstum der Emerging Markets

Über den grössten Teil des Jahres 2022 hat sich die Wirtschaft der Emerging Markets erneut als erheblich stabiler erwiesen als erwartet, sodass die BIP-Wachstumsprognosen für das Gesamtjahr angehoben wurden.  Anfang 2023 werden aber die deutlich strafferen Finanzbedingungen die Konjunktur belasten, während zugleich die Nachfrage aus dem Ausland nachlässt, weil sich die Wirtschaft der Industrieländer abschwächen dürfte.  China ist der grösste Lichtblick der Emerging Markets, aber die geplante Wiederöffnung der Wirtschaft nach der Pandemie ist keineswegs sicher und wird die Nachfrage nach Rohstoffen aus den Emerging Markets möglicherweise weniger stark beflügeln als in früheren Erholungsphasen, weil die chinesische Wirtschaft jetzt dienstleistungsorientierter ist.

Geld- und Fiskalpolitik könnten der Konjunktur immer weniger förderlich sein. Ähnlich wie es von den Zentralbanken der wichtigsten Industrieländer erwartet wird, wollen die Notenbanken der Emerging Markets die Zinsen längere Zeit auf einem hohen Niveau belassen. Zugleich könnten inflationsgebundene Preisstrukturen die Disinflation bremsen. Bis Ende 2023 werden vermutlich die brasilianische und die ungarische Zentralbank als Erstes ihre Zinsen senken. Die Fiskalpolitik besteht zurzeit nur noch in aussergewöhnlichen Massnahmen im Zusammenhang mit COVID-19. Weitere Schritte zur Begrenzung der Auswirkungen der Inflation auf die Haushaltssalden werden in den Jahren 2023/2024 allmählich zurückgefahren. Alles in allem gehen wir davon aus, dass das Wachstum in einem Emerging Market nach dem anderen (mit Ausnahme von China) im 4. Quartal 2022 und im 1. Quartal 2023 zurückgeht. Für die zweite Jahreshälfte 2023 erwarten wir eine langsame Erholung, die 2024 Fahrt aufnehmen wird, weil sich dann sowohl die externen als auch die internen Bedingungen normalisieren dürften.

Steigende Anfälligkeiten einkommensschwacher Länder

Die externen Bedingungen sind für alle Emerging Markets weiterhin problematisch. Besonders betroffen von den weltweit strafferen Finanzbedingungen und der geringeren Liquidität waren die gewöhnlich als Frontiermärkte bezeichneten einkommensschwachen Länder, die auch erheblich stärker von einer Aussenfinanzierung abhängig sind.  In den letzten Monaten hat Sri Lanka die Bedienung seiner Auslandsschulden ausgesetzt. Ghana dürfte seine Schulden umstrukturieren, um sich für Finanzhilfen des IWF zu qualifizieren, El Salvador könnte zahlungsunfähig werden, Ägypten versucht seine Zahlungsbilanzlücke zu schliessen, und sowohl in Kenia als auch in Nigeria drohen Währungsabwertungen. Insgesamt sind viele Regierungen von Frontiermärkten gezwungen, auf eine Aussenfinanzierung zu setzen, was sie zusammen mit den steigenden Kosten für den Schuldendienst anfällig für Währungsabwertungen macht, die Staatsschuldenkrisen auslösen könnten. Durch steigende Inflation, Währungsabwertungen und teurere Nahrungsmittelimporte steigen die Risiken einer Zahlungsbilanzkrise, weil die Währungsreserven nicht mehr hoch genug sind.  Auch soziale Unruhen im Zusammenhang mit der Nahrungsmittelsicherheit sind ein Risiko, dem man mit multilateralen Kreditlinien entgegenwirken will.

Rezession in Zentral- und Osteuropa

Die hohe Inflation belastet die Kaufkraft der privaten Haushalte, während strengere Kreditbedingungen die Investitionen in Zentral- und Osteuropa bremsen, und das in einer Zeit, in der eine winterliche Energiekrise Europa in die Rezession treiben wird. Entscheidend für das Wachstum wird sein, ob die europäischen Finanzmittel rechtzeitig ausgezahlt werden. Polen und Ungarn erfüllen die Bedingungen der EU-Kommission noch nicht, sodass Polen vielleicht erst 2024 Zahlungen erhält. Ungarn bekommt möglicherweise überhaupt nur 30%. Aber trotz der zu erwartenden Rezession in dieser Region müssen die Zentralbanken an ihrer strafferen Geldpolitik festhalten, damit die Inflationserwartungen nicht überschiessen und die Währungen vor dem Hintergrund der höheren Zahlungsbilanzdefizite nicht zu stark abwerten.  Da in Ungarn nach den Wahlen 2022 Sparprogramme zu erwarten sind, die ungarischen Zinsen bereits hoch sind und eine tiefe Rezession bevorsteht, könnte die dortige Zentralbank die einzige in der Region sein, die aus unserer Sicht 2023 ihre Geldpolitik lockern dürfte.

Die Türkei wird eine geldpolitische Wende einleiten – ob sie will oder nicht

Völlig entgegengesetzt der geldpolitischen Straffung weltweit hat die Türkei ihre Zinsen gesenkt. Die hohe Inflation, der steigende Aussenfinanzierungsbedarf und die sinkenden Währungsreserven machen diese Politik besonders besorgniserregend. Die Währung wird durch die „Liraisierungs-Strategie“ der Zentralbank gestützt, die den Kapitalverkehr einschränkt und Banken zwingt, Staatsanleihen zu kaufen. Wenn die Energiepreise nicht deutlich sinken oder die Währung nicht erheblich abwertet, sodass das nicht ölbezogene Haushaltsdefizit zurückgeht, dürfte das Leistungsbilanzdefizit auf über 5% des BIP steigen. Die Finanzierung des Kapitalbilanzdefizits beruht zu zwei Dritteln auf nicht näher bezeichneten „Fehlern und Auslassungen“. Sie wird aber benötigt, um eine echte Währungskrise noch vor den Wahlen Mitte 2023 zu verhindern. Aktuell gehen wir davon aus, dass die Zentralbank ihre unorthodoxe Geldpolitik aufgibt und ihre Zinsen auf etwa 15% bis 20% anhebt. Dann dürfte zwar die Wirtschaft schrumpfen, aber auch die Ungleichgewichte würden sich allmählich abbauen.

 

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