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Auf dem Gipfel


Interessanterweise wird die derzeitige Geldpolitik oft mit dem Tafelberg verglichen. Wer schon einmal in Kapstadt war, kennt vielleicht die bequeme Seilbahnfahrt auf den Gipfel. Man hat einen herrlichen Ausblick über Camps Bay und das Westkap. Die Rückfahrt, ebenfalls per Seilbahn, ist genauso angenehm. Doch wenn man nicht aufpasst und am Abend die letzte Seilbahn verpasst, steht bei Einbruch der Dunkelheit ein schwieriger Abstieg über Steilhänge bevor. Eile ist geboten, weil der Nebel immer tiefer sinkt. Anhaltend hohe Leitzinsen bei einer weichen Landung entsprechen der Rückfahrt per Seilbahn. Wenn die Notenbanken aber falsch liegen und sich der Ausblick verschlechtert, müssen sie den Zinsgipfel vielleicht eilig und überstürzt verlassen.

War es das? 

Und wieder haben wir ein paar Notenbanksitzungen überstanden. Die Fed hat ihren Leitzins unverändert bei 5,25% bis 5,50% belassen, die Bank of England (BoE) bei 5,25%. Die Europäische Zentralbank (EZB) entschied sich für eine Erhöhung um 25 Basispunkte auf 4,0%, die sich aber wie eine Zinspause anfühlte. Die Begleitrhetorik von Fed und BoE war allerdings recht scharf: Die Fed liess wissen, dass sie den langfristigen neutralen Zins jetzt höher einschätzt, und die BoE will ihre Bilanzsumme schneller verringern, also mehr britische Staatsanleihen aus ihren Beständen verkaufen. Die Märkte reagierten auf das mögliche Ende der Zinserhöhungen überraschend negativ. Die US-Staatsanleihenrenditen stiegen erstmals seit 2007 auf 4,5%, und die britischen Renditen legten nach der Sitzung um etwa 10 Basispunkte zu. Den Notenbanken dürfte das gefallen. Das Letzte, was sie jetzt brauchen können, ist ein Markt, der für lockerere Finanzbedingungen sorgt.

Neue Zinsannahmen 

Natürlich müssen die Investoren beachten, dass die Zinsen in nächster Zeit höher sein könnten, als sie es aus den letzten 20 Jahren kennen. Die Diskussion über den neutralen Zins in den USA ist durchaus akademisch, weil wir r* letztlich nicht beobachten können. Sie hat aber praktische Konsequenzen. Wenn die Geldpolitiker den neutralen Zins jetzt für höher halten als in den letzten gut zehn Jahren, ist die Geldpolitik vielleicht lockerer, als es scheint. Restriktiv ist sie dennoch – niemand glaubt an einen neutralen Zins von 5,50%. Doch ohne weitere Hinweise auf eine nachlassende Konjunktur und eine Rückkehr der Inflation zum Zielwert wird die Fed die Geldpolitik entweder weiter straffen oder den aktuellen Zins noch länger beibehalten. Alle grossen Notenbanken sprechen sich zurzeit für „higher for longer“ aus. Weitere Zinserhöhungen können aber nicht ausgeschlossen werden, wenn die Inflation wieder steigt.

Plateaus sind selten

„Higher for longer“ gibt es nicht oft. Seit den 1970ern hat die Fed ihren Leitzins nach der letzten Erhöhung nur einmal für längere Zeit nicht gesenkt, in den Jahren 2006 und 2007. Nachdem die Federal Funds Rate von 1,0% im Jahr 2003 auf 5,25% Anfang 2006 angehoben worden war, blieb sie 15 Monate lang unverändert. Meist werden Zinserhöhungen aber schnell wieder rückgängig gemacht, weil die Konjunktur recht stark reagiert. Ich frage mich, ob uns jetzt eher eine Neuauflage der Jahre 1995 bis 2000 bevorsteht. Damals hat die Fed ihren Zins von 3,0% im Jahr 1994 auf 6,0% im Jahr 1995 erhöht. Es folgten einige kleinere Anpassungen und schliesslich ein neuer Höchststand von 6,5% im Jahr 2000. Das reichte, um die Dotcom-Blase zum Platzen zu bringen. Häufigere Zinsanpassungen bei einem höheren neutralen Zins erfordern aber höhere Risikoprämien für Anleihen.

Bei Anleihen ist jetzt alles anders 

Für Anleiheninvestoren ist das ein wichtiges Thema. Mit aktiven Strategien haben sie in den letzten Monaten versucht, genau beim Zinsmaximum einzusteigen. Sie hofften auf fallende Renditen und Kursgewinne bei Titeln mit einer längeren Duration. Besonders erfolgreich war das nicht: Der ICE Bank of America Index für US-Staatsanleihen mit über zehn Jahren Laufzeit hat im letzten Quartal 4,7% verloren, und der entsprechende britische Index liegt um 6,5% im Minus. Mehr und mehr rechnet man am Markt damit, dass die Zinsen nicht so bald gesenkt werden und auch der neutrale Zins auf Dauer höher sein wird. Bei Redaktionsschluss erwarten die Märkte für Januar 2025 eine Federal Funds Rate von 4,56%, wobei letztlich erst Mitte nächsten Jahres mit einer ersten Zinssenkung gerechnet wird. Die Staatsanleihenrenditen sind parallel zu den Leitzinserwartungen gestiegen. Einerseits könnte man bei höheren Renditen versucht sein, auf eine längere Duration zu setzen, andererseits könnten die Renditen aber auch so lange nicht fallen, bis die Notenbanken die Geldpolitik erkennbar lockern.

„Higher for longer” betrifft aber auch Aktieninvestoren. Für unsere Bewertungsmodelle sind die langfristigen Zinsannahmen wichtig. Ceteris paribus ist der Gegenwartswert künftiger Gewinne bei höheren Zinsen niedriger. Manche Unternehmen freuen sich zwar über höhere Anleihenrenditen, aber andere leiden unter dem steigenden Zinsaufwand. Hoch verschuldete Unternehmen mit mässigem Gewinnwachstum könnten an Attraktivität verlieren, wenn die Zinsen noch längere Zeit nicht fallen. Wer assetklassenübergreifend investiert, könnte versucht sein, seine Aktienpositionen mit Anleihen zu diversifizieren, zumal sie so hohe laufende Erträge bieten wie seit zehn Jahren nicht mehr. Letztes Jahr lagen fast alle Assetklassen im Minus, aber jede Anleihenbaisse geht irgendwann vorbei. Ausserdem hat bei höheren Renditen der laufende Ertrag einen grösseren Anteil am Gesamtergebnis – je mehr die Renditen steigen, desto höher ist der laufende Ertrag.

Mehr als am Geldmarkt? 

Aber was bedeutet es für Anleihen, wenn die Renditen nicht bald erkennbar fallen? Für einzelne Titel ist der Ausblick durchaus gut, was beim derzeitigen Renditeniveau nicht überrascht. Zwar liegen die (risikolosen) Staatsanleihenrenditen zurzeit in allen Laufzeiten unter dem Geldmarktsatz, aber manche Anleihen bieten mehr. Investoren können sich das jetzt sichern. Besonders beliebt bleiben kurz laufende Unternehmensanleihen; britische Unternehmensanleihen mit ein bis drei Jahren Laufzeit bieten zurzeit über 6% Rendite. High Yield wiederum ist eine interessante Alternative mit einem höheren Beta; der amerikanische High-Yield-Index stellt zurzeit 8,5% bis 9% laufenden Ertrag in Aussicht. Letzte Woche traf sich unser Investmentteam, um die Anleihenmärkte zu prognostizieren. Gemessen am Spread seien Unter­nehmensanleihen keineswegs besonders günstig, hiess es, aber die Gesamtrenditen seien sehr attraktiv. Sie sind heute so hoch wie seit der internationalen Finanzkrise nicht mehr und oft auch höher als in der Zeit davor. 

Positive Realerträge, wenn die Inflation schneller fällt als die Renditen

Ich glaube, dass man mit Anleihen nächstes Jahr real recht gut dasteht, weil die Inflation wohl weiter fällt. Noch mehr würde man verdienen, wenn immer mehr Investoren glauben, dass die Notenbanken die letzte Seilbahn verpassen werden. Die jüngsten europäischen Konjunkturdaten – vor allem die niedrigen Einkaufsmanagerindizes – zeigen, wie schwach manche Teile der Weltwirtschaft sind. Doch selbst bei einer weichen Landung und einer Stabilisierung der Zinserwartungen kann man noch etwas verdienen, und bei Unternehmensanleihen kämen die Credit Spreads hinzu. Man muss einfach nur die Gesamterträge bei einer Veränderung der Anleihenrenditen um 100 Basispunkte betrachten. Wenn ein Anstieg und ein Rückgang um 100 Basispunkte gleich wahrscheinlich sind, sind Erträge auf Einjahressicht wahrscheinlicher als Verluste. Das aktuelle Renditeniveau und die hohen Coupons der zuletzt begebenen Titel sind eine gute Ausgangsbasis für Anleiheninvestoren.

Neue Zeiten

Nach wie vor kann man kaum mehr verdienen als am Geldmarkt, und die Geldmarktzinsen werden wohl noch einige Zeit stabil bleiben. Wer auf fallende Renditen gesetzt hat und mit einer längeren Duration von Kursgewinnen profitieren wollte, hatte in den letzten Monaten nicht viel Glück. Längerfristig dürfte aber der Zinseszinseffekt bei Titeln mit einer Duration über drei Monaten am Ende für Erträge über dem Geldmarktsatz sorgen. Niemand wollte ernsthaft Anleihen kaufen, als die Renditen kaum über null lagen – während des Quantitative Easing war der Markt freundlich zu Kreditnehmern und nicht zu Investoren. Aber das ist jetzt vorbei. Jetzt müssen wir auf die Cashflows und Finanzen der Kreditnehmer achten. Sie müssen ausreichen, damit sie die höheren Zinsen noch zahlen können. Die Investorenerträge sind aber auf jeden Fall sehr viel attraktiver geworden. Anleihen sind zurück – und dabei wird es bleiben.  

Ans Eingemachte 

Für einige Zeit habe ich der Versuchung widerstanden, über Fussball zu schreiben. Wer die letzten Spiele von Manchester United gesehen hat, wird das verstehen. Die Saison hat gerade begonnen, und schon scheint es, als würde United sie abschreiben müssen. Manchester City hingegen könnte das letztjährige Triple durchaus wiederholen, auch wenn Bayern München, Barcelona oder Real Madrid ein Wort mitzureden haben. Die Schwierigkeiten von United sind fundamental und dürften wohl erst gelöst werden, wenn wir Klarheit über die künftigen Eigentumsverhältnisse haben. Unterdessen ist vor jedem Spiel die Anspannung gross. Wenn die Spieler auf dem Platz endlich einmal wie elf Freunde auftreten – oder zumindest so, als würden sie sich kennen –, wäre das schon ein grosser Fortschritt. Das Schöne am Fussball ist aber, dass er immer wieder für Überraschungen gut ist. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich auf eine positive Überraschung hoffe!

Performancedaten/Quellen: Refinitiv Datastream, Bloomberg. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist kein Hinweis auf künftige Erträge.

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