Grünes Wachstum, Wachstumsverzicht oder Wachstums-neutralität: Was bedeuten die neuen Wirtschaftsmodelle?
- Das Wachstumsstreben schadet der Erde. Daher werden neue nachhaltigere Wirtschaftsmodelle ins Spiel gebracht.
- Grünes Wachstum, Wachstumsverzicht und Wachstumsneutralität sind drei unterschiedliche Konzepte, die den Ressourcenverbrauch stark senken und die Wirtschaftspolitik neu ausrichten sollen.
- Gewisse Veränderungen scheinen auf Dauer unumgänglich. Vermutlich werden die neuen Modelle zumindest ansatzweise umgesetzt, mit wichtigen Konsequenzen für verantwortungsbewusste Investoren.
Das Universum mag sich ausdehnen, aber die Erde und ihre Ressourcen sind endlich. Für nachhaltige Investoren ist das eine wichtige Erkenntnis. Wir wünschen uns Wachstum, damit die Wirtschaft vorankommt und Unternehmen Erfolg haben. Mehr und mehr zeigt sich aber, dass nachhaltiges Wachstum die Endlichkeit unserer Ressourcen nicht aus dem Blick verlieren darf.
Wer im Dezember Weihnachtsgeschenke gesucht hat, weiss, wie überflüssig vieles ist. Aber selbst an völlig nutzlosen Dingen können Unternehmen und Investoren verdienen, und sie fliessen sogar in das Bruttoinlandsprodukt ein. Seit 70 Jahren messen wir den Wohlstand von Ländern am BIP, also an der Güter- und Dienstleistungsproduktion. Weil das BIP die externen Effekte wirtschaftlicher Aktivitäten nicht erfasst, wollte sein Schöpfer, der amerikanische Volkswirt Simon Kuznets, es nie isoliert betrachten.1 Es ist schnell gesagt, dass das Wachstumsstreben der Erde schadet und damit unsere Zukunft gefährdet. Aber was sind die Alternativen?
Entscheidend ist zweifellos der Kampf gegen den Klimawandel. Die Ressourcennutzung verursacht entlang der gesamten Wertschöpfungskette Treibhausgasemissionen, und wenn wir für bessere Lebensbedingungen und mehr Gleichheit in den Entwicklungsländern eintreten, werden wir mit einer harten Wahrheit konfrontiert: 2022 kam eine Studie des UN-Kinderhilfswerks UNICEF zu dem Schluss, dass 3,3 Erden nötig wären, wenn jeder so viel konsumierte wie die Menschen in den Industrieländern.2 Letztes Jahr schrieb das UN-Umweltprogramm, dass sich die Erde bei den bisherigen Zusagen statt um 1,6 °C eher um viel zu hohe 2,6 °C erwärmen werde.3
Solche einfachen Fakten verdeutlichen, warum sich jetzt auch Führungskräfte aus Wirtschaft und Finanzen in eine alte Diskussion einschalten, die bislang Volkswirten und anderen Wissenschaftlern vorbehalten war. Vorgeschlagen werden völlig neue Wirtschaftsstrukturen, die mehr Nachhaltigkeit versprechen. Business as usual ist kein Zukunftskonzept mehr. Daher müssen wir die neuen Vorschläge analysieren und überlegen, was sie für Anleger bedeuten.
Grünes Wachstum
Dieses Modell entspricht am ehesten der derzeitigen Realität. Ziel ist Wachstum im Einklang mit den Pariser Klimazielen. Im Mittelpunkt steht die Energiewende – der Umstieg auf erneuerbare Energien und die Abscheidung von Emissionen mit neuen Technologien und Kohlenstoffsenken. Der Konsum soll weniger energieintensiv werden, ohne wirklich zu schrumpfen. Wachstum durch mehr Konsum bliebe dann weiter möglich. Elektrofahrzeuge sind eine grüne Lösung, die zu unserem derzeitigen Wirtschaftsmodell passt. Vielleicht verlieren wir dann aber eine noch viel wirksamere Lösung aus dem Blick: die drastische Verringerung der Automobilproduktion und -nutzung.
Als Investoren können wir leicht nachvollziehen, was grünes Wachstum ausmacht. Weil Politik und Verbraucher umdenken, wissen die Unternehmen, dass eine echte Nachhaltigkeitsstrategie von Kunden und Finanzmärkten geschätzt wird. Saubere Energie wurde zu einem Wachstumssektor, ebenso wie Anlagen, die die Artenvielfalt ernst nehmen, zu sozialem Fortschritt beitragen oder bestimmten UN-Nachhaltigkeitszielen verpflichtet sind.4 Letztlich ist grünes Wachstum ein Wachstum ohne höheren Ressourcenverbrauch. In den meisten Industrieländern scheint das grundsätzlich möglich. Damit die Strategie aber weltweit funktioniert, muss noch sehr viel mehr erneuerbare Energie genutzt werden.5
Wachstumsverzicht
Wer Wachstumsverzicht propagiert, nimmt hin, dass die Wirtschaft durch weniger Produktion und Konsum – vor allem in den Industrieländern – schrumpfen kann. Das kann eine beängstigende Vorstellung sein, weil fast jede heilige Kuh, die unser wirtschaftliches Denken seit der industriellen Revolution bestimmt hat, geschlachtet werden kann. Die Politik wird aber immer offener für dieses Konzept, etwa durch eine 4-Tage-Woche. Manche Daten sprechen dafür, dass grünes Wachstum allein für die Emissionssenkungsziele vielleicht nicht reicht.6 In Ländern, die nicht primär auf Wachstum setzen, brauchen Investoren neue Ideen von Regierungen und Assetmanagern. Immerhin ist die Idee des Wachstumsverzichts aber so weit zum Mainstream geworden, dass Wall-Street-Investmentbanken ihre Kunden allmählich auf das Konzept hinweisen.7 Die Diskussion ist im Fluss. Manche Anhänger meinen auch, dass ein geringerer Energie- und Ressourcenverbrauch genüge und das BIP gar nicht schrumpfen müsse.
Im März werden einige Verzichtsbefürworter vor dem niederländischen Parlament sprechen, und andere haben Mittel von der Europäischen Union bekommen. Einstweilen wird das Konzept aber eher von Lobbyisten als von der Politik vertreten.8 Vieles ist noch offen. Was bedeutet es etwa für Entwicklungsländer mit einem hohen Industrieanteil, wenn die reicheren Länder plötzlich sehr viel weniger importieren? Auch bleibt unklar, wie sich Entwicklungsländer ohne Wachstum „entwickeln“ können.
Die Konsequenzen für Anleger sind nicht leicht zu beurteilen. Was bedeutet Wachstumsverzicht für den Aktienmarkt? Lässt sich aus gesellschaftlich nützlichen Unternehmen, die der Umwelt nicht schaden und keine neue Nachfrage generieren, ein tragfähiges Anlageuniversum aufbauen? Noch gibt es nur wenige Analysen, aber zumindest eine Studie prognostiziert einen Börsenkrach mit dauerhafter Deflation.9 Viele Fragen bleiben ungeklärt. Manche Punkte sind aber auch dann interessant, wenn Wachstumsverzicht kein offizielles politisches Ziel ist. Ein Argument der Verzichtsbefürworter ist, dass wir irgendwann ohnehin zur Selbstbeschränkung gezwungen werden. Da sollte man doch besser rechtzeitig planen.
Wachstumsneutralität
Wachstumsneutralität, manchmal auch „Wachstumsagnostizismus“ genannt, ist das Schwestermodell des Wachstumsverzichts. Ziel ist eine Wirtschaftsentwicklung, bei der soziale und ökologische Ziele Priorität haben. Das BIP bleibt dabei aussen vor. Der Erfolg wird an anderen Zielen gemessen – wie bessere Luft- und Wasserqualität, mehr Freizeit, eine bessere Gesundheitsversorgung und mehr Gleichheit. Diese Ziele bestimmen dann auch die Politik. Hierzu passt die Idee der Kreislaufwirtschaft, in der der Produktlebenszyklus so gesteuert wird, dass kaum noch Abfall entsteht und so wenig Energie wie möglich verbraucht wird. Das kann sich positiv auf Natur und Artenvielfalt auswirken und die Emissionen senken.
Wachstumsverzicht mag ein völliges Umdenken erfordern, aber auch Wachstumsneutralität macht gemeinsame Anstrengungen nötig. Manche Befürworter wollen Organisationen wie den Internationalen Währungsfonds oder die Weltbank zu einem wachstumsneutralen Ansatz verpflichten.10 Nach wie vor sind „Glücksindikatoren“ aber noch nicht klar definiert. Sie sind oft weniger konsistent und damit auch schlechter vergleichbar als das klassische BIP-Wachstum. Langfristig will eine „Beyond GDP“-Initiative aus Mitgliedern der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments dieses Defizit angehen.11 Investoren werden Ähnliches befürchten wie im Verzichtsszenario. Ein grosser Pensionsfonds wird sich zu Recht fragen, wie er seine Verpflichtungen erfüllen kann, wenn der Welt Wachstum nicht mehr wichtig ist.
Auf Veränderungen reagieren
Wir haben nicht alle Vorschläge untersucht, und es wäre keine Überraschung, wenn am Ende ein Hybridansatz stünde. Die drei Modelle haben durchaus Überschneidungen. Grünes Wachstum scheint sehr interessant zu sein und kommt uns bekannt vor. Unser gewohntes Wirtschaftsmodell würde nur leicht angepasst. Tatsächlich aber könnte das zu wenig sein. Vielleicht müssen wir die Frage des absoluten Ressourcenverbrauchs viel direkter angehen. Bei Alternativen kommt es aber auf die politische Umsetzbarkeit an. Wählern kann man leicht verkaufen, dass sie ihr bisheriges Leben nicht ändern müssen, wenn sie von Kohle- zu Solarstrom wechseln. Veränderungen mit dem Ergebnis eines niedrigeren Lebensstandards sind aber wesentlich schwerer durchzusetzen.
Am wahrscheinlichsten scheint uns daher irgendeine Form des grünen Wachstums, ergänzt um Teile des Neutralitätsmodells, des Konzepts der Kreislaufwirtschaft und einzelner Elemente des Verzichtsmodells, etwa bei der aktiven Verringerung von Überkonsum und Abfall. Wahrscheinlich wird es keine Lösung aus einem Guss. Pragmatismus ist die Devise, und nicht die Umsetzung irgendeiner Ideologie.
Seit der industriellen Revolution streben wir nach Wachstum. Da die ökologischen und sozialen Folgen dieses Denkens immer offensichtlicher werden, könnten die neuen Modelle durchaus Anhänger finden. Investoren müssen daher die Zeichen der Zeit erkennen. Aus einem Schneeball kann schnell eine Lawine werden. Selbst wenn sich die Dinge langsam entwickeln, wird es Kipppunkte geben, die Sektoren oder auch ganze Assetklassen infrage stellen können. Als Assetmanager müssen wir das wissen und die möglichen Fallstricke und Chancen erkennen.
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