Quantitative Tightening (QT) in Europa durchaus möglich
- Die Falken haben die „Pause auf neutralem Niveau“ im Euroraum, also gleichbleibende Leitzinsen, sobald diese bei oder nahe 2% liegen, um zu sehen, ob weitere Erhöhungen nötig sind, bereits ins Visier genommen. Diesen Winter werden die Diskussionen starten. Aber es werden nicht die einzigen sein. Eine quantitative Straffung (Quantitative Tightening, QT) könnte früher auf der Agenda stehen als erwartet. Diese Kombination ist keine gute Nachricht für die schon jetzt nicht besonders stabilen Volkswirtschaften, und zwar unabhängig von den tatsächlichen politischen Entwicklungen.
Ihre Leitzinserhöhung um 75 Basispunkte hat die EZB letzte Woche eine „Vorwegnahme“ der Normalisierung ihrer Geldpolitik genannt, sodass sie die Zinsen möglicherweise schon ab jetzt unverändert lässt. Wir gehen davon aus, dass die Falken mehr wollen und es lieber sähen, wenn man es der Fed gleichtun und die Leitzinsen konsequent in den restriktiven Bereich anheben würde, ohne unbedingt auf neutralem Niveau eine Pause einzulegen, um dann zu entscheiden, ob mehr notwendig ist. Dieser Ansatz ist zumindest einmal einfach: Zinsen so lange erhöhen, bis die Inflation wieder bei 2% liegt. Das kann aber gefährlich sein. Die Geldpolitik wirkt immer verzögert. Wenn die EZB heute entscheidet, die Zinsen weiter bis in den restriktiven Bereich anzuheben, geht sie das Risiko ein, unnötigerweise eine Rezession auszulösen – oder vielmehr sie zu verlängern. Da sich die Zielwerte ständig verschieben, gehen wir davon aus, dass dies die nächste Schlacht sein wird, die im EZB-Rat ausgetragen wird. Wann kommt dieser „Moment der Wahrheit“? Irgendwann zwischen Dezember 2022 und März 2023, weil uns Christine Lagarde zwei Monate nach der offiziellen Senkung der Prognosen gesagt hat, dass es zwischen zwei und fünf Sitzungen dauern werde, bis die Leitzinsen da sind, „wo sie sein sollten“. Obgleich sich die EZB-Vorsitzende absichtlich unklar dazu ausgedrückt hat, wie viele Zinserhöhungen in diesem Zeitrahmen stattfinden werden, ist dies angesichts des unsicheren Umfelds, in dem die EZB ihre Entscheidungen treffen muss, eine ehrgeizige Aussage.
Eine weitere wichtige Schlacht wird die um das Quantitative Tightening werden. Auch wenn es, wie Lagarde letzte Woche sagte, noch „zu früh“ für diese Diskussion ist, erfuhr Reuters aus informierten Kreisen, dass QT möglicherweise bereits auf der Oktobersitzung ein Thema sein wird. Weitere Zinserhöhungen und ein unerwartet frühes QT könnten die fragilen Volkswirtschaften im Euroraum zusätzlich belasten, unabhängig von den politischen Entwicklungen in den einzelnen Ländern.
Für die USA erwarten wir, dass die Fed keine weitere „Jumbo-Anhebung“ der Zinsen beschließen und sich am 21. September auf „nur“ 50 Basispunkte beschränken wird. Allerdings war ihre Rhetorik letzte Woche zugegebenermaßen sehr straff. Damit sich die US-Zentralbank am Ende nicht doch noch einmal für 75 Basispunkte entscheidet, muss die Verbraucherpreisinflation im August, die diese Woche veröffentlicht wird, eine klare Sprache sprechen.
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